Der Gedan­ken­strich – ein Stil­mit­tel, dank des­sen du mit­ten im Lesen eine Pause machst und die Luft anhältst. Und das aus­ge­dient hat seit – Kunst­pau­se — ChatGPT.

 

Der Gedank­strich beglei­tet mich seit mei­nem Ange­stell­ten­da­sein als Tex­te­rin in Agen­tu­ren. Ich lern­te ihn ken­nen als dra­ma­ti­sche Diva, die Sätze in Sinn­ab­schnit­te teil­te, den Leser zum Inne­hal­ten zwang und wie ein Trom­mel­wir­bel daher­kam:

 

Strah­len­de Haut, sei­di­ges Gefühl – und das ganz ohne Make-up.

Daten ana­ly­sie­ren, Pro­zes­se auto­ma­ti­sie­ren – Effi­zi­enz neu gedacht.

Wir lie­fern nicht nur Ergeb­nis­se – wir lie­fern Aha-Momen­te.

 

Spürst du die ver­meint­li­che „Span­nung“, die der Gedan­ken­strich erzeugt? Ich bin so wich­tig!, scheint er von sich selbst zu den­ken, ich brin­ge das Knis­tern in die Texte! Ja okay, eigent­lich bin ich ganz schön bil­lig, aber hey – es funk­tio­niert, oder? So wie die Texte in der BILD-Zei­tung.

Unter allen Stil­mit­tel ist der Gedan­ken­strich sowas wie der Ame­ri­ka­ner; groß­spu­rig und prot­zig, aber mit wenig Sub­stanz dahin­ter. Oh – my – god.

Beson­ders häu­fig ver­wen­de­te ich den Gedan­ken­strich in den Direct Mai­lings, die ich jeden Tag schrieb. Das gehör­te ein­fach zum Stil dazu, so wie Fet­tun­gen und Bul­let­points. „Wer­be­sprech“ eben.

Ob er immer Not tat, kann ich gar nicht wirk­lich sagen. Ich setz­te ihn meist instink­tiv. Sicher hätte ich auch statt­des­sen ein Komma neh­men und den Satz irgend­wie umstel­len kön­nen – aber zack, da war er wie­der, der Gedan­ken­strich.

Spä­ter als Selbst­stän­di­ge ver­wen­de­te ich den Gedank­strich wei­ter in den Web-Tex­ten für meine Kun­den. Da, wo er in die Satz­me­lo­die pass­te und den Rhyth­mus des Tex­tes auf­lo­cker­te, bevor man ein­schlief, da hatte er seine Berech­ti­gung.

Bis eines Tages KI an die Tür klopfte.

Genau­er gesagt, ChatGPT. Und ChatGPT stell­te mal eben die gesam­te Mar­ke­ting-Bran­che auf den Kopf.

Auf der einen Seite macht uns ChatGPT ver­dammt schnell.

Auf der ande­ren Seite aber auch sehr miss­trau­isch.

Klar, man selbst liebt die Zeit­er­spar­nis und den Kom­fort, den ChatGPT bringt, weil alles so schön schnell flutscht und wir uns kei­nen Kopp mehr machen müs­sen.

Umge­kehrt bin ich aber der fes­ten Über­zeu­gung, dass nie­mand KI-Texte lesen möch­te. Denn dann füh­len wir uns instink­tiv ver­äp­pelt und ver­un­si­chert. Wir wol­len Texte von ech­ten Men­schen lesen, nicht von KI. Nur selbst von ihr prof­tie­ren, das wol­len wir auch.

Sehr schnell fiel dann näm­lich Fol­gen­des auf:

ChatGPT hat eine gewisse Stil-Vorliebe, und zwar für den – nein! Doch! Haww! – Gedankenstrich.

Mehr als Clau­de, Per­ple­xi­ty und alle ande­ren Text-KI’s zusam­men.

Es stimmt wirk­lich: Du kannst eigent­lich keine Frage bei ChatGPT stel­len, ohne dass sich in der Ant­wort die Gedan­ken­stri­che über­ein­an­der sta­peln, und zwar auch da, wo sie kei­nen Sinn machen.

Was übri­gens nur ein Indiz von vie­len für die man­gel­haf­te Text­qua­li­tät ist. Jeden­falls fiel der infla­tio­nä­re Gebrauch des Gedan­ken­stri­ches auch schnell der Online-Com­mu­ni­ty auf. Kein Wun­der bei sol­chen Ergüs­sen:

 

Ich: ChatGPT, erstel­le einen Post über Pro und Con­tra von Text-Scha­blo­nen.

ChatGPT: Gern! Hier ist ein Post-Vor­schlag im typi­schen Lena-Block-Stil – klar, mit Augen­zwin­kern, aber fun­diert:

Text-Scha­blo­nen – Fluch, Segen oder ein­fach nur Zeit­spa­rer?

💡 „Copy, paste, Erfolg“ – klingt zu gut, um wahr zu sein? Ist es meis­tens auch.

 

Drei Sätze, drei Gedan­ken­stri­che. Dar­un­ter macht’s ChatGPT nicht.

Nächs­ter Ver­such, völ­lig ande­res Thema:

 

Ich: ChatGPT, kann ich statt Back­pul­ver auch Hefe neh­men?

ChatGPT: Kurz gesagt: Jein – es kommt dar­auf an, was du backen willst.

 

Da isser wie­der.

Und so ist der Gedan­ken­strich in ChatGPT-Tex­ten zum Run­ning Gag der Online-Socie­ty gewor­den und füllt mei­nen Lin­ke­dIn-Feed:

Posts, in denen steht, dass Gedan­ken­stri­che jeden KI-Text sofort ent­lar­ven.

Kon­ter-Posts, in denen erklärt wird, dass Gedan­ken­stri­che even­tu­ell ja auch ein­fach so ver­wen­det wer­den, weil man den mag und per­sön­lich da hin­ge­schrie­ben hat.

Posts, in denen drei Texte zur Aus­wahl ste­hen und man raten soll, wel­cher von ChatGPT ist. Und alle dann: Daaaa, da sind auf­fal­lend viele Gedan­ken­stri­che, es ist b)!

Und ich? Ich sehe mich bestä­tigt in mei­nem Ein­druck, dass ich KI-Texte nun anhand des Gedan­ken­strichs iden­ti­fi­zie­ren oder doch zumin­dest ver­däch­ti­gen kann.

Und: Dass es vor­bei ist.

Seit ChatGPT benut­ze ich so gut wie keine Gedan­ken­stri­che mehr. Ich kann die Din­ger ein­fach nicht mehr sehen, weil ich sie jetzt über­all sehe, und ich finde, dass die Texte arg dar­un­ter lei­den. ChatGPT hat mir den Gedan­ken­strich ver­saut.

Es ist wie mit einem Essen, das man zu oft ser­viert bekom­men hat, oder einem Song, den man irgend­wann über­hört. Es hat sich aus­ge­dan­ken­stricht. Das Ding über­zeugt nicht mehr, weil es jetzt an jeder Ecke auf­taucht. Es ist zur Flos­kel ver­kom­men.

Wenn ich jetzt Texte von ChatGPT erstel­len lasse (und das tue ich trotz oder gera­de als Tex­te­rin), dann for­mu­lie­re ich die Ergeb­nis­se nicht nur so lange um, bis sie mei­nem Anspruch genü­gen. Ich strei­che auch kate­go­risch alle Gedan­ken­stri­che raus, wo sie ersetz­bar sind. Ich will sie ein­fach ande­ren und mir selbst nicht mehr zumu­ten, und ich finde auch, die Texte gewin­nen dadurch.

Aber geht es wirklich nur um den Gedankenstrich? Natürlich nicht.

Es geht darum, Ver­ant­wor­tung für Spra­che zu über­neh­men. Darum, Mus­ter zu hin­ter­fra­gen, auch wenn sie bequem sind. Dem eige­nen Stil und der eige­nen Tona­li­tät treu zu blei­ben. Und darum, Texte zu schrei­ben, die echt klin­gen, weil sie echt gemeint sind. Nicht, weil ein Tool sie for­ma­tiert hat.

Wer schreibt, muss ent­schei­den: Was dient dem Text? Was ist bloß Gewohn­heit? Und was ist viel­leicht nur noch leere Geste?

Der Gedan­ken­strich war mal ein Stil­mit­tel.

Jetzt ist er ein Warn­si­gnal.