Das Inter­net ist voll mit schlau­en Tipps für bes­se­re Texte: Schreib aktiv statt pas­siv, ver­mei­de Flos­keln, nutze Ver­ben statt Sub­stan­ti­ve. Stimmt ja auch alles. Das aber auf die eige­nen Texte anzu­wen­den, ist wie­der ein ande­rer Schnack.

Meine Tex­terkol­le­gin Jane von Klee und ich haben des­halb beschlos­sen, unse­re bis­her meist heim­lich aus­ge­leb­te Berufs­krank­heit öffent­lich zu machen: Wir ana­ly­sie­ren Texte – schlech­te und nicht ganz so schlech­te – und las­sen dich daran teil­ha­ben, was funk­tio­niert und wie es bes­ser geht.

Bereit? Dann star­te ich mit vier ganz unter­schied­li­chen Bei­spie­len und Jane ergänzt. 😉

Jane: Jawoll! 😀

 

Beispiel 1:

Mein herzliches Beileid

Hier sehen wir den Above-the-fold-Abschnitt der Start­sei­te eines Beer­di­gungs­un­ter­neh­mens. Oder wie Jane in ihrem Blog so tref­fend sagte: Der Teil, dem die Ziel­grup­pe nur 3 Sekun­den Zeit gibt, um zu über­zeu­gen.

Selbst wenn wir Ange­hö­ri­ge ver­lie­ren, führt uns der Weg oft als ers­tes zu Goog­le. Denn auch Beer­di­gungs­un­ter­neh­men haben Web­sites, mit denen sie vor Ort Kun­den fin­den wol­len. Da sind sie Dienst­leis­ter wie alle ande­ren, auch wenn ja „immer gestor­ben wird“. Ich finde nur: Das hier ist ein emp­find­li­ches Thema. Wes­we­gen man dop­pelt hin­schau­en soll­te, was man da fabri­ziert. Texte not­falls laut dem Part­ner vor­le­sen – dann hätte man sich hier ein paar Schnit­zer erspart.

Über das „Herz­lich will­kom­men“ in der Head­line will ich mich gar nicht auf­re­gen – das ist der Para­de­feh­ler, den die­ses Beer­di­gungs­in­sti­tut mit 5 Mil­lio­nen ande­ren deut­schen Web­sites teilt und der mir nur noch ein Schul­ter­zu­cken ent­lockt.

Jane: Aber ich möch­te dazu kurz was sagen. Näm­lich: Betrach­te die Start­sei­te Dei­ner Web­site als Schau­fens­ter. Und nun stell Dir vor, Du hät­test einen ganz klei­nen Blu­men- oder Kla­mot­ten­la­den in der Fuß­gän­ger­zo­ne. Wür­dest Du “Herz­lich will­kom­men” ins Schau­fens­ter tape­zie­ren? Nein, Du wür­dest die schöns­ten Geste­cke oder Klei­der prä­sen­tie­ren. Und genau dem Prin­zip funk­tio­niert die Start­sei­te auch.

Dann aber kommt ein Satz, der vor sti­lis­ti­schen und gram­ma­ti­ka­li­schen Feh­lern nur so stol­pert. Und er löst seine Erwar­tungs­hal­tung nicht auf: „Egal, ob (…)“: Ja und dann WAS?

Jane: Hmm, ich ver­mu­te, der nach­fol­gen­de Satz ist als Auf­lö­sung gemeint: Egal unter wel­chen Umstän­den der Mensch ver­stor­ben ist, wahr­schein­lich sind da jetzt Schmerz und Hilf­lo­sig­keit. Aber genau hier sehe ich das Pro­blem: Ich ver­mu­te. Bei einem guten Text ver­mu­te ich nicht, son­dern weiß.

Ablen­ken kann von die­sem ver­murks­ten ers­ten Satz nur der zwei­te Satz, bei dem ich mich noch mehr ver­schluckt habe: Der Schmerz und diese Hilf­lo­sig­keit, wenn der Vater oder die Mut­ter gegan­gen ist?

Mag ja sein, dass am häu­figs­ten erwach­se­ne Kin­der ihre Eltern beer­di­gen, aber sich dar­auf hier so fest­zu­le­gen, finde ich schon krass. Es schließt im Umkehr­schluss alle ande­ren aus, die viel­leicht die Beer­di­gung des Part­ners, eines Geschwis­ters oder des eige­nen Kin­des pla­nen müs­sen (soll’s auch geben).

Was ich noch anders gemacht hätte: Den Schmerz und die (even­tu­el­le) Hilf­lo­sig­keit anzu­spre­chen kann man machen, aber dann muss man die­sen „Pain Point“ auch auf­fan­gen. Also:

„Viel­leicht spü­ren Sie gera­de den Schmerz und die Hilf­lo­sig­keit, die einen über­kommt, wenn ein gelieb­ter Mensch gestor­ben ist. Wir vom Beer­di­gungs­in­sti­tut Dum­di­dum neh­men Ihnen des­halb so viel Orga­ni­sa­to­ri­sches wie mög­lich ab und hal­ten Ihnen in die­ser schwie­ri­gen Zeit den Rücken frei.“

Jane: Ich würde sogar noch wei­ter gehen und benen­nen, warum es sinn­voll ist, dass wir den Rücken frei haben und uns nicht um die Orga küm­mern müs­sen. Was ist das eigent­li­che Ver­spre­chen dahin­ter? Also zum Bei­spiel:

„Viel­leicht spü­ren Sie gera­de gro­ßen Schmerz und Hilf­lo­sig­keit, weil ein gelieb­ter Mensch gestor­ben ist. Wir vom Beer­di­gungs­in­sti­tut Dum­di­dum neh­men Ihnen so viel Orga­ni­sa­to­ri­sches wie mög­lich ab und hal­ten Ihnen in die­ser schwie­ri­gen Zeit den Rücken frei – damit Sie unge­stört trau­ern kön­nen.“

 

Beispiel 2:

Country-Music? That don’t impress me much

 

Die­ses Pla­kat habe ich an einer Bus­hal­te­stel­le ent­deckt. Und ich fand spon­tan, dass es mehr Fra­gen auf­wirft als Infos lie­fert.

Okay, es gibt da offen­sicht­lich einen neuen Radio­sen­der, und er spielt Coun­try-Music. Nun könn­te man ja irgend­wie ver­su­chen, das Genre ein wenig anzu­prei­sen. Lust auf Coun­try zu machen. Oder gar: eine wit­zi­ge Head­line, einen Eye­cat­cher für alle gelang­weil­ten Bus­hal­te­stel­len-Men­schen.

Viel­leicht ein gro­ßes „Howdy, Yan­kee“?

Oder „Yee-haw!“

Oder „Ber­lin heißt jetzt Nash­ville.“ (Jane: Den mag ich beson­ders!)

Oder “Dolly Par­ton! Kenny Rogers! Shania Twain! Die frühe Tay­lor Swift!“

Oder, oder, oder. Mög­lich­kei­ten, Lust aufs Banjo zu machen, gibt es unzäh­li­ge. Das schreit förm­lich nach was Locker-Lus­ti­gem.

Aber was steht hier statt­des­sen? „Radio21 hat einen neuen Bru­der.“ Hm. Ist das rele­vant für den Leser?

Und dann groß: „The Wolf“.

So heißt der Sen­der. Warum? Gibt’s da nur Geheu­le?

Erfährt man nicht.

Was macht den Sen­der so toll?

Erfährt man nicht.

Ein­fach nur „The Wolf“. Finde ich lei­der sehr banal. Auch visu­ell gibt sich das Pla­kat keine Mühe, an das Coun­try-Genre anzu­do­cken. Die Far­ben sind die der ame­ri­ka­ni­schen Flag­ge, aber das kommt ja fast schon zu sub­til daher.

Immer­hin ist noch eine Hand­lungs­auf­for­de­rung mit dabei. Sonst aber ein sehr trost­lo­ses Pla­kat. Da ent­ste­hen lei­der keine Vibes.

 

Bei­spiel 3: Come in and find out

Die­sen Stra­ßen­stop­per habe ich online ent­deckt, und zwar auf meh­re­ren Platt­for­men, weil er offen­sicht­lich gut ankommt. Hier haben wir wie­der das Mar­ke­ting-Phä­no­men „Ver­kau­fe deine ver­meint­li­chen Schwä­chen und dir flie­gen alle Her­zen zu“.

Das Set­ting: Irgend­ein Café in einem eng­lisch­spra­chi­gen Land, eine Kun­din bestellt einen Kaf­fee, fin­det ihn schei­ße und schreibt das auch so als Rezen­si­on bei Trip Advi­sor. Und das Café wirbt dann damit. Warum funk­tio­niert das, und warum fin­den wir das sym­pa­thisch? Warum wür­den wir hier trotz­dem – oder gera­de – einen Kaf­fee bestel­len?

Das Café ver­sucht nicht, das geils­te zu sein

Hier offen­bart jemand, dass er viel­leicht mal mit einem Pro­dukt dane­ben­lag und dass nie­mand per­fekt ist – das fin­den wir sofort sym­pa­thisch, lus­tig und boden­stän­dig. Mal was Ehr­li­ches! Wo man doch sonst in der Wer­bung nur mit Super­la­ti­ven und teils lee­ren Ver­spre­chen zuge­bal­lert wird.

Die Kun­din war bestimmt doof

Wer schreibt denn wirk­lich wegen eines Kaf­fees eine schlech­te Rezen­si­on bei Trip Advi­sor? Hatte die sonst nichts zu tun? Und dann auch noch gleich „der schlech­tes­te ihres Lebens“. Diese dra­ma­ti­sche Über­trei­bung wirkt lei­der unglaub­wür­dig und zickig. Wir ergrei­fen instink­tiv Par­tei für das Café.

Der Invest ist nicht gera­de ein Risi­ko

Wir reden hier von einem Kaf­fee, der ein paar Euro kos­tet. Es kann also nicht viel pas­sie­ren, wenn er wirk­lich nicht gut ist. Des­halb schreckt der Stra­ßen­stop­per nicht ab, wir bestel­len dort einen Kaf­fee und las­sen es drauf ankom­men (und sind viel­leicht sogar ein­fach neu­gie­rig).

Der Feh­ler macht sich nicht an einer Per­son fest

Was würde pas­sie­ren, wenn Jane bei Insta schrei­ben würde: „Komm und kauf mei­nen SEO-Kurs, der gar nichts taugt“? Der Invest wäre nicht nur viel zu hoch, die Feh­ler­haf­tig­keit würde sich auch an ihrer Per­son fest­ma­chen. Ein Café aber ist ein Café. Wer immer damals einen schlech­ten Kaf­fee aus­ge­hän­digt hat, bleibt gesichts­los.

Jane: Könn­te bei mir höchs­tens funk­tio­nie­ren, wenn jemand mir in einer Bewer­tung sowas schreibt wie: “Der Sup­port war viel zu viel, rich­tig ner­vig!” – also wenn jemand etwas bekrit­telt, was ande­re expli­zit suchen.

Die Mar­ke­ting­stra­te­gie ist unge­wöhn­lich

Wo sonst gibt es noch Stra­ßen­stop­per, die zu so einer ori­gi­nel­len Idee abseits der Mar­ke­ting-Norm grei­fen? Eben. Muss man sich schon trau­en. Hän­gen bleibt, was die Erwar­tungs­hal­tung sprengt.

 

Bei­spiel 4: Sagen, was Sache ist

Zum Schluss noch­mal ein Above-the-fold-Abschnitt einer Web­site, den ich posi­tiv her­vor­he­ben möch­te.

Vom Design und auch von der Text­ge­stal­tung her wirkt diese Web­site auf den ers­ten Blick eher ein­fach und unauf­ge­regt. Ein rosa Hin­ter­grund, ein Por­trät­fo­to, Head­line und Fließ­text ohne beson­de­re Her­vor­he­bung, Schnör­kel oder Zwi­schen-Head­lines. Ich ver­mu­te, die Unter­neh­me­rin hat die Web­site selbst erstellt (was bes­ser geht – aber auch deut­lich schlech­ter).

Jane: Ja, abso­lut rich­tig. Ich muss aber geste­hen: Ich hätte den Text wahr­schein­lich nicht gele­sen, wenn ich ihn zufäl­lig online gefun­den hätte, weil mir die opti­sche Struk­tur fehlt. Eine Leer­zei­le zwi­schen den Absät­zen und viel­leicht zwei Fet­tun­gen wür­den schon rei­chen, damit ich mich von dem Block nicht erschla­gen fühle.

Was mir an die­sem Abschnitt so gut gefällt, ist dass die Coach nicht den Feh­ler macht, erst­mal lang und breit von sich selbst zu erzäh­len. Und das pas­siert ganz häu­fig. Ist ja auch logisch: Uns selbst ken­nen wir am bes­ten, also stel­len wir uns auch dar, bevor wir uns damit aus­ein­an­der­set­zen müs­sen, was ande­re erwar­ten könn­ten.

Tat­säch­lich geht es aber im Above the fold darum, sich in das ein­zu­füh­len, was die Ziel­grup­pe sucht. Über uns reden kön­nen wir noch an ande­rer Stel­le. Und daran wurde hier gedacht. Schon allein die Head­line ver­mit­telt sofort, um was es hier geht. Zwar kommt der Text eher nüch­tern und ohne sti­lis­ti­sche Raf­fi­nes­sen daher, aber die so viel geprie­se­nen Pain Points und Bene­fits, die wer­den hier sofort klar.

Auch im Fließ­text schafft sie es, ihre Ziel­grup­pe ein­fühl­sam abzu­ho­len.  Sie spricht ihre Lese­rin­nen direkt an, ver­setzt sich in ihre Situa­ti­on und sagt kon­kret, wie sie hel­fen kann. Keine schwur­be­li­gen Zita­te, kein „Ich-bin-seit-10-Jahren-Coach-aus-Leidenschaft“-Blubb, keine Flos­keln à la „Ich heb dich auf irgend­ein Level“.

Nein, diese Unter­neh­me­rin ist keine Web­site-Akro­ba­tin. Aber bei ihr habe ich das Gefühl: Die möch­te gestress­ten Müt­tern wirk­lich hel­fen, denn sie holt sie ein­fühl­sam ab. Cha­peau.

 

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