Über­flüs­sig, böses Füll­wort, sagt nichts aus, unbe­dingt strei­chen: Tex­ter, Vor­trags­red­ner und Schreib­coa­ches schimp­fen uni­so­no auf das klei­ne Wört­chen „eigent­lich“. Dabei hat es über­haupt nichts ver­bro­chen, son­dern kann Tex­ten rich­tig gut­tun.

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Schätz mal: Wie oft am Tag sagst du „eigent­lich“? Ich habe dazu online keine Anga­ben gefun­den, bin aber sicher, dass da jeder in den zwei­stel­li­gen Bereich kommt. Wir sagen „eigent­lich“, „quasi“, „sozu­sa­gen“, „ent­spre­chend“, „offen­sicht­lich“, „na ja“, „also“.

Lau­ter Füll­wör­ter, die wir uns nicht lange zurecht­le­gen, son­dern die ein­fach aus unse­rem Mund raus­plop­pen. Wür­den wir so schrei­ben, wie wir spre­chen, wären die Sätze vol­ler Ver­haspler, Ein­zel­sil­ben, Stol­per­lau­te und eben Füll­wör­ter.

Beim pri­va­ten frei­en Spre­chen ist das okay, sagen Rhe­to­rik­ex­per­ten und Tex­ter. In Tex­ten aber nicht. Denn die legen wir uns sorg­sam zurecht, um eine bestimm­te Wir­kung erzie­len, selbst­be­wusst zu klin­gen und zu ver­kau­fen.

Wenn wir also „eigent­lich“ schrei­ben,

  • ver­län­gern wir den Text unnö­tig,
  • machen die Aus­sa­ge schwam­mig
  • und wir­ken unsi­cher.

Heißt es. Und was zum Geier hat „eigent­lich“ eigent­lich für eine Bedeu­tung?  Kann das jemand aus dem Eff-eff defi­nie­ren? Wieso benut­zen wir ein Wort so oft und kön­nen nicht sagen, was wir damit mei­nen?

Und müs­sen wir das Wort jedes Mal wie­der raus­strei­chen, obwohl wir es instink­tiv in den Satz­fluss inte­griert haben?

Wenn du im Web nachschaust, wirst du folgende Definition finden:

 

einer Sache in Wahr­heit zugrun­de lie­gend; tat­säch­lich, wirk­lich

die wirk­li­che, ursprüng­li­che, wört­li­che, nicht über­tra­ge­ne Bedeu­tung eines Wor­tes

ver­stärkt oder rela­ti­viert beson­ders in Fra­ge­sät­zen eine gewis­se Anteil­nah­me, eine vor­wurfs­vol­le Äuße­rung 

 

Mal ein Bei­spiel:

Eigent­lich war es gar nicht so.

Eigent­lich ent­spricht hier Tat­säch­lich:

Tat­säch­lich war es gar nicht so.

Und in Gedan­ken fügst du jetzt auto­ma­tisch hinzu: …,son­dern es war so und so.

Die glei­che Aus­sa­ge ohne „eigent­lich“:

Es war gar nicht so.

Klingt merk­wür­dig abge­hackt, oder?

Ver­wäs­sert das Wort hier irgend­was? Nein, weil der Satz sonst außer „gar“ (auch so’n komi­sches Wort) keine Füll­wör­ter ent­hält.

Hieße der Satz

Also eigent­lich war es ja im Grun­de gar nicht so

würde ich auch sagen, dass er schwam­mig klingt. Genau­so wie

Eigent­lich bin ich ganz zufrie­den als Frei­be­ruf­le­rin.

Selbst­be­wusst klingt anders. Aber da muss eben jeder Satz indi­vi­du­ell geprüft wer­den.

 

Nächs­tes Bei­spiel:

Wie heißt der eigent­lich?

Hier ent­spricht „eigent­lich“ dem Wort „über­haupt“. Der spielt jetzt schon so lange in unse­rem Fuß­ball­team und ich kenn den noch gar nicht, wie heißt der eigent­lich?

Ohne „eigent­lich“:

Wie heißt der?

Hat nicht die­sel­be Aus­sa­ge, wie wir mer­ken.

Ihr eigent­li­ches Unter­richts­fach ist Deutsch.

„eigent­lich“ ent­spricht hier „rich­tig“.

Ihr rich­ti­ges Unter­richts­fach ist Deutsch.

 

Noch ein Bei­spiel:

Was ich eigent­lich noch sagen woll­te:…

„Eigent­lich“ hat hier die glei­che Bedeu­tung wie „übri­gens“.

 

Du merkst: „Eigent­lich“ ist ein klei­nes Multi-Talent, ein Cha­mä­le­on, weil es mehr als nur eine Bedeu­tung hat und viel­fäl­tig ein­setz­bar ist.

Die Bedeu­tung des Wor­tes ergibt sich aus der Art, wie man es münd­lich betont, oder aus dem schrift­li­chen Kon­text.

Das Wort kann sogar Span­nung erzeu­gen:

Eigent­lich hatte er dem Alko­hol abge­schwo­ren.

Jetzt erwar­ten wir vom Fol­ge­satz so etwas wie

Aber dann stand da die­ses ver­lo­cken­de Glas Bor­deaux vor ihm.

Wir lesen „eigent­lich“ und den­ken auto­ma­tisch das dar­auf fol­gen­de „…aber“ mit.

Eigent­lich soll­te Rot­käpp­chen auf dem Weg blei­ben (aber dann kam sie doch vom Weg ab und traf auf den bösen Wolf).

Ohne das Wort klingt der Satz unvoll­stän­dig:

Er hatte dem Alko­hol abge­schwo­ren.

Rot­käpp­chen soll­te auf dem Weg blei­ben.

Im Marketing kann sich das so lesen:

Eigent­lich (aka nor­ma­ler­wei­se) kos­tet der Online­kurs 399 Euro. Aber nur heute bekommst du ihn für die Hälf­te!

Wenn es schlicht Der Online­kurs kos­tet 399 Euro hei­ßen würde, hät­test du nicht schon beim ers­ten Satz geahnt, dass im zwei­ten Satz die ein­ma­li­ge Chan­ce auf den hal­ben Preis war­tet, oder?

Jan Delay und Udo Lin­den­berg haben die­sem Satz sogar einen gan­zen Hit gewid­met:

Eigent­lich bin ich ganz anders

Ich komm nur viel zu sel­ten dazu

Also: Dann muss ja irgend­was an dem Wört­chen dran sein, oder?

Und damit auch zu dem Grund, warum ich ihm über­haupt einen gan­zen Bei­trag widme:

Mich nervt, dass Schreib­tipps und ver­meint­li­che Text­re­geln im Web und bei Insta­gram nicht hin­ter­fragt wer­den.

Wenn du „Füll­wör­ter“ oder „Flos­kel“ bei Goog­le ein­gibst, wirst du auf zig Arti­kel sto­ßen, die dir alle raten, „eigent­lich“ rigo­ros aus dei­nem Text zu strei­chen, weil es schließ­lich kein Wort ist, dass für die Kern­aus­sa­ge wich­tig ist.

Und das wird dann immer so wei­ter­ge­tra­gen und kopiert bis hin­ein in die Posts und Blogs von Tex­tern, Schreib­trai­nern und Social Media Mana­gern, die dann nur noch Sub­jekt Prä­di­kat Objekt schrei­ben und sich wie wer­be­schleu­dern­de Robo­ter mit Mega­fon anhö­ren.

Wie ich aber hof­fent­lich deut­lich machen konn­te, ist das so nicht ganz rich­tig. Wie gesagt:

Jeder einzelne Satz muss individuell geprüft werden.

 

Ja, manch­mal tut’s dem Satz gut, wenn du „eigent­lich“ streichst. Sehr oft aber trägt die­ses Wort die ganze Stim­mung des Gesag­ten.

Es gibt dem Text eine Satz­me­lo­die, einen Schwung, macht ihn geschmei­dig. Hin­ter jedem „eigent­lich“ steht eine eige­ne klei­ne Aus­sa­ge, die in die­sem ein­zel­nen Wort zusam­men­ge­fasst wer­den kann.

Ver­glei­che:

Was tun Sie hier?

Was tun Sie eigent­lich hier?

Wel­cher der zwei Sätze könn­te von jeman­dem sein, der sauer ist? Der letz­te (Was tun Sie über­haupt hier?!).

Wel­cher Satz könn­te von jeman­dem sein, der flir­ten will? Der letz­te (Sie sind mir ja bis­her noch gar nicht auf­ge­fal­len, erzäh­len Sie mal, was tun Sie eigent­lich hier?).

Also:

„Eigent­lich“ ist ein fei­nes, lie­bes Wort, das sei­nen Platz im deut­schen Sprach­schatz völ­lig berech­tigt inne­hat. Es ist der Joker, der dei­nem Text eine mensch­li­che Fär­bung ver­leiht. Ein rich­tig klei­ner Schatz, eigent­lich.

 

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