Tsch­a­cka, du schaffst das, rufen dir Busi­ness- und Life-Coa­ches via Insta-Post zu und fei­ern deine Selbst­stän­dig­keit ab. Damit tun sie ver­un­si­cher­ten Neu-Unter­neh­mern aller­dings kei­nen Gefal­len.

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Fan­gen wir mit einer klei­nen Auf­ga­be an: Was glaubst du, wie viele Coa­ches es in Deutsch­land gibt? Das lässt sich schnell ergoog­len und sieht Stand heute (Janu­ar 2024) so aus:

„Etwa 10.000 Busi­ness- und 40.000 Life-Coa­ches gibt es aktu­ell. Der Markt wuchs welt­weit in den letz­ten vier Jah­ren um 50 Pro­zent.“

Diese Zah­len muss man mal sacken­las­sen. Aber noch viel wich­ti­ger ist die Frage: Tau­gen die alle was? Na ja, ähn­lich wie bei Tex­tern kann sich jeder „Coach“ nen­nen, das ist kein geschütz­ter Begriff. Die Skala ist also mal wie­der sehr breit. An einem Ende zer­ti­fi­zier­te Coa­ches, die ihr Hand­werk gelernt haben und ihre Kun­den super bera­ten.

Am ande­ren Ende Coa­ches, die mal den Jakobs­weg gegan­gen sind, oder na ja den hal­ben, die Snea­k­ers waren nach ein paar Tagen durch, LOL, und die sich dadurch kom­pe­tent genug füh­len, ande­ren zu erzäh­len, wie sie ihr Busi­ness gestal­ten sol­len.

Dem­entspre­chend rui­niert sind die Begrif­fe „Coach“ und „Coa­ching“ mitt­ler­wei­le. Man muss schon sehr genau hin­schau­en, um die Qua­li­tät her­aus­zu­le­sen (z. B. durch Kun­den­stim­men, Zer­ti­fi­zie­run­gen, Abgren­zung von toxi­scher Posi­ti­vi­tät usw.).

Warum beschäf­tigt mich das? Weil der Algo­rith­mus auf Insta­gram, kurz IG, mich als freie Tex­te­rin einer Bubble zuge­ord­net hat, die mir regel­mä­ßig Coa­ching-Con­tent anzeigt. Man­che von die­sen Posts finde ich inter­es­sant. Man­che lang­wei­lig. Und man­che sehe ich sehr kri­tisch.

So und ähn­lich klin­gen sie:

Du hast dich gera­de selbst­stän­dig gemacht und jeder um dich herum hat was Intel­li­gen­tes zu sagen. Aber meist haben sie selbst keine Erfah­rung, na ja.

Habe den Mut, dei­nen Gefüh­len und Sehn­süch­ten Aus­druck zu geben!

Alle haben ihr gesagt, das geht nicht. Heute ist sie sechs­stel­lig.

Es ist dein Soul­busi­ness. Lass dir nichts erzäh­len!

Du musst genau das machen, wovon du glaubst, das kann man nicht machen

‚Das passt gar nicht zu dir‘. Hat dir das schon mal jemand gesagt? Weisst du: Das passt nur nicht in das Bild, wie dich diese Per­son sieht. Was zu dir passt, ent­schei­dest nur du ganz allei­ne.

 

Wirkt doch erst­mal recht moti­vie­rend, oder? Coa­ches oder auch Unter­neh­mer mit einer ähn­li­chen Aus­rich­tung bestär­ken ande­re Selbst­stän­di­ge, Grün­der, Free­lan­cer und Noch-Ange­stell­te, ihren Weg zu gehen und machen ihnen Mut.

Aber woher sind die sich eigent­lich so sicher?

Wenn wir Selbst­stän­di­gen sol­che Texte auf Social Media oder auch der Web­site ver­öf­fent­li­chen, dann haben wir beim Schrei­ben ja immer eine bestimm­te Ziel­grup­pe im Hin­ter­kopf.

Eine Ziel­grup­pe ist eine Grup­pe von Men­schen, die alle was gemein­sam haben oder in einer ähn­li­chen Situa­ti­on ste­cken. Ich als Tex­te­rin z. B. rich­te mein Posts an Fol­lower, von denen ich anneh­me, dass sie tex­ten ler­nen wol­len oder über­le­gen, eine Tex­te­rin zu buchen. Oft sind das ande­re Selbst­stän­di­ge, manch­mal auch ein­fach Leute, die schrei­ben inter­es­sant fin­den.

Fit­ness­trai­ner den­ken als Ziel­grup­pe aus­schließ­lich an Men­schen, die, Über­ra­schung, fit­ter wer­den wol­len. Und wer nach­hal­ti­ges Spiel­zeug her­stellt, schreibt an jeman­den, der höchst­wahr­schein­lich ein Kind Zuhau­se hat und dazu ein Bewusst­sein für Qua­li­tät.

Wir gehen also davon aus, dass Ziel­grup­pen irgend­wie homo­gen sind, denn sonst kön­nen wir sie nicht ein­heit­lich anspre­chen.

Selbst­stän­di­ge als Ziel­grup­pe sind aber eine Grup­pe, die so groß ist, dass sie eher hete­ro­gen ist. Wir neh­men an, dass sie sich vor Kur­zem, gera­de oder dem­nächst in die Selbst­stän­dig­keit wagen/gewagt haben. Sonst aber wis­sen wir nichts.

Wir kön­nen nicht sagen, ob der Post gera­de von jeman­dem gele­sen wird, der mona­te­lang an sei­nem Busi­ness­plan getüf­telt hat, alle Para­me­ter wie­der und wie­der prüft und wirk­lich Chan­cen hat, mit sei­ner Idee erfolg­reich zu sein.

Oder von jeman­dem, der ein Geschäft für Kera­mik eröff­nen will in einer Stra­ße, in der es schon drei Läden mit ähn­li­chem Geschirr gibt.

Trotz­dem wird in die­sen Posts pau­schal allen zuge­ru­fen: Du kannst das! Toll­toll­toll!

Und nicht nur das: Das Umfeld der Ziel­grup­pe wird auch noch instru­men­ta­li­siert und als Gegen­part dar­ge­stellt. Die ande­ren, das sind die doo­fen. Die wol­len einen ent­mu­ti­gen, kri­ti­sie­ren, glau­ben nicht an die Idee, machen einen klein. Dabei sind die selbst gar nicht selbst­stän­dig, pff, was wis­sen die denn schon.

Ich möch­te dazu zwei Geschich­ten erzäh­len:

Nach mei­nem ers­ten Jahr als Ange­stell­te in einer Mar­ke­ting­agen­tur war ich so gefrus­tet, dass ich über­leg­te, mich als Tex­te­rin selbst­stän­dig zu machen. An einem Abend unter­hielt ich mich dar­über mit zwei Freun­din­nen bei einem Glas Wein. Die eine fand meine Idee super und befeu­er­te meine Gedan­ken. Die ande­re riet mir ab. Sie fand das nach nur einem Jahr Berufs­er­fah­rung viel zu früh.

Aus ganz unter­schied­li­chen Grün­den habe ich mich dann erst acht Jahre spä­ter selbst­stän­dig gemacht, muss aber aus heu­ti­ger Sicht sagen: Die kri­ti­sche Freun­din hatte recht. Ich wäre kra­chend geschei­tert.

Eine ande­re Freun­din von mir wie­der­um über­leg­te nach dem Abi, Ägyp­to­lo­gie zu stu­die­ren. „Oh, so ein inter­es­san­tes Fach!“, applau­dier­te ihre Mut­ter, „mach das!“ Nach dem Stu­di­um fand meine Freun­din einen Job im Muse­um. Gehalt? Reich­te kaum für die Miete. „Ich hätte mich bes­ser infor­mie­ren sol­len“, ärger­te sie sich mehr­mals. „Nur ‚inter­es­sant‘ reicht halt nicht.“

Men­schen müs­sen ihr gan­zes Leben lang Ent­schei­dun­gen tref­fen. Allein sind sie dabei nicht.

Es gibt Fami­lie, Freun­de, Bekann­te und Kol­le­gen, die sie dabei beglei­ten. Bera­ten. Über­le­gen. Ihren Senf dazu geben. Und natür­lich tun sie das! Wie trau­rig wäre das denn, wenn man alle Ent­schei­dun­gen mit sich selbst aus­ma­chen müss­te, statt sie mit einem Spar­rings­part­ner oder einem ande­ren lie­ben Men­schen bespre­chen zu kön­nen? Wie iso­liert wir wären.

Und wenn dabei „fal­sches“ oder kri­ti­sches Feed­back kommt? Ja nun. Ich per­sön­lich erwar­te das quasi. Ich will doch nicht, dass mir jemand nach dem Mund redet und sagt, ja klar du, mach dich selbst­stän­dig als Ener­gie­be­ra­te­rin, was Pho­to­vol­ta­ik ist, lernst du dann noch. Wem was an mir und mei­nem Glück liegt, der berät mich doch ehr­lich. Der warnt mich even­tu­ell auch. Egal, ob er selbst Erfah­rung mit Selbst­stän­dig­keit hat oder nicht.

Wir haben Men­schen um uns herum, die lebens­er­fah­ren sind und klug und Per­spek­ti­ven ein­neh­men, die uns ver­schlos­sen blei­ben. Warum also nicht zuhö­ren?

Wenn man jetzt nicht gera­de übelst klein gemacht wird, son­dern skep­ti­sches, aber plau­si­bles Feed­back bekommt, dann kann man das aus­hal­ten und sich damit aus­ein­an­der­set­zen. Ohne gleich in die all­seits so belieb­te Opfer­rol­le zu schlüp­fen. Oh Gott, jemand springt bei mei­ner Idee nicht vor Begeis­te­rung im Drei­eck, wie gemein, wie gemein.

Tat­säch­lich schei­tern mehr als 80 Pro­zent* aller Start­ups inner­halb von drei Jah­ren, eini­ge Zah­len gehen auch von mehr aus.

Wo wird das denn in den Posts erwähnt? Erfol­ge wer­den laut und offen­siv gefei­ert. Schei­tern fin­det laut­los statt.

Selbst­stän­dig­keit ist eben nicht der hei­li­ge Gral, der zur Erlö­sung führt und aus­ge­spielt wer­den muss gegen die Fest­an­stel­lung, die kli­schee­haft jede Selbst­ver­wirk­li­chung ver­hin­dert. Eine Fest­an­stel­lung bie­tet Sicher­heit, Kon­ti­nui­tät, nette Kol­le­gen und Sozi­al­leis­tun­gen, die es in der Selbst­stän­dig­keit nicht gibt. Trotz­dem tun Coa­ches gern so, als sei der Schritt ins Unter­neh­mer­tum der Wahr­heit letz­ter Schluss. Sto­rytel­ling, Hel­den­rei­se, all in.

Warum also ermu­ti­gen man­che Coa­ches dann pau­schal alle zur Selbst­stän­dig­keit und skiz­zie­ren „die ande­ren“ als bösen Gegen­pol? Natür­lich, um zu mani­pu­lie­ren und selbst bes­ser dazu­ste­hen. Huhu. Ich seh‘ das wie du. Ich bin dein Ver­bün­de­ter. Ich geb dir ein gutes Gefühl, ich glau­be an dich, ich moti­vie­re dich. Bei mir bist du bes­tens auf­ge­ho­ben. Ach ja und buch mich.

Aber was könn­ten Coa­ches denn statt­des­sen auf IG sagen?

Ich weiß nicht, wie du das emp­fin­dest, aber ich würde einem Coach viel eher ver­trau­en, wenn er zurück­hal­ten­der wäre und sich nicht von vorn­her­ein fest­le­gen würde.

Gute Coa­ches…

  • sind sich der Viel­falt der Selbst­stän­di­gen als Ziel­grup­pe bewusst und ver­zich­ten auf pau­scha­le Ermu­ti­gun­gen
  • reflek­tie­ren ihre Texte und wis­sen um die Ver­ant­wor­tung, die mit ihren Wor­ten ein­her­geht
  • schaf­fen auf IG Raum für rea­lis­ti­sche Betrach­tun­gen, sodass (ange­hen­de) Unter­neh­mer infor­mier­te Ent­schei­dun­gen zu den Coa­chings tref­fen kön­nen

Nur so kön­nen sie ihrer Ziel­grup­pe wirk­lich hel­fen, ihre indi­vi­du­el­len Wege erfolg­reich zu gehen. Und dafür sind Coa­ches doch eigent­lich da wink.

 

 

*Deut­scher Start-Up Moni­tor

 

Smartphone mit Instragam Texten von Lena Instagram Account

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